Donnerstag, 26. Juli 2012

Kai Meyer - der Wellenläufer


Kai Meyer hat mit seinen Fantasy-Sagas ein Millionenpublikum erreicht, seine Bücher wurden in dutzende Sprachen übersetzt und er hat die literarischen Vorlagen zu mehreren Spielfilmen geliefert. Er hat Fans auf der ganzen Welt.

Hallo Kai, vielen herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst mir hier ein paar Fragen zu beantworten.
Ich weiß, dass Du zu den sehr wenigen deutscher Bestsellerautoren gehörst, die sich dazu entschlossen haben, einige ihrer Backlisttitel auch selbst zu publizieren. Das allein wäre ja schon einen Blogpost wert.
Aber Du stellst es ja ein wenig anders an, als zum Beispiel Akif Pirinçci oder Andreas Eschbach, die sich ganz allein in die neue wilde Welt des Selfpublishing  begaben. Berichte doch einmal kurz über das Projekt MiMe, das Ebook- Label, unter dem Du Deine Backlisttitel jetzt veröffentlichst.

Tatsächlich habe ich gerade auch zum ersten Mal einen Text in Eigenregie bei Amazon online gestellt, eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Drachenreigen“ Bis zum 29. Juli ist der Download noch kostenlos, danach bleibt der Preis unter einem Euro.
Was MiMe angeht: Unter diesem Kürzel fungiert die Agentur Michael Meller – also mein Agent – als eigener E-Book-Verlag. Wobei er meines Wissens nur Autoren veröffentlicht, die ohnehin bereits bei ihm unter Vertrag stehen. Meine Bücher sind sein erster Versuchsballon. Die beiden ersten laufen bislang recht ordentlich – im Rahmen deutscher E-Book-Verhältnisse –, in diesen Tagen kommen gerade die nächsten acht Titel dazu.
Um ehrlich zu sein war es zunächst eine Entscheidung aus Bequemlichkeit, die Backlist-Titel über MiMe zu veröffentlichen. Der Zeitaufwand ist ja doch nicht ohne, vor allem wenn die Texte noch konvertiert werden müssen. Die Alternative wäre, gleich zu Anbietern wie Bookwire zu gehen und sie alles Nötige machen zu lassen. Ich probiere derzeit einfach mal ein wenig herum, um hoffentlich dann, wenn E-Books auch bei uns eine größere Rolle spielen, gut vorbereitet zu sein und genau zu wissen, was zu tun ist.


Kai Meyer - Fantasyautor, aber kein Fantast

Worin bestand die Hauptmotivation diesen Weg zu beschreiten? Ging es dabei nur um’s Geld? Müssen sich Deine Fans etwa Sorgen um Kai Meyers Einkünfte machen? Bist Du gezwungen demnächst kellnern zu gehen, falls Deine Ebooks sich wider Erwarten nicht gut verkaufen?

Ich glaube nur an wenige von diesen E-Book-Erfolgsgeschichten, die man derzeit ständig zu hören bekommt. Nicht jede hochgeladene Datei wird gleich ein „Shades of Grey“. Und ich lebe nach wie vor sehr gut von meinen gedruckten Büchern, der neue Roman erscheint im Dezember wieder als Hardcover im Carlsen-Verlag – und dort gehört er auch hin. Ich werde sicher weiter experimentieren, auch mal mit Originaltexten, aber die Direktveröffentlichung eines ganzen Romans von 400, 500 Seiten als E-Book sehe ich derzeit für mich noch nicht.

Wie sah die Reaktion Deines Verlages darauf aus, dass Du jetzt bei MiMe veröffentlichst? Gab’s womöglich einige lange Gesichter in den Lektorenkonferenzen? 

Keine Ahnung, ich sitze ja nicht in Lektorenkonferenzen. Aber die Bücher, die jetzt bei MiMe erscheinen, sind alle bereits in zwei, meist sogar drei Verlagen veröffentlicht worden, teils mit Hardcover-Vorlauf. "Der Schattenesser" etwa ist erst bei Aufbau im HC erschienen, dann zweimal bei Heyne und ein drittes Mal bei Bastei-Lübbe als Taschenbuch. Die dürften alle daran verdient haben, was es eben zu verdienen gab. Zuletzt habe ich einfach die Rechte wieder eingesammelt und bringe sie jetzt als E-Book auf den Markt. Das scheint mir derzeit die natürliche Verwertungskette zu sein.

Siehst Du auch Gefahren im Selbstpublishing (übrigens ein furchtbares Wort, das sich allerdings wohl leider durchsetzen wird)?

Die Gefahren sind kein Geheimnis: Zum einen könnten sich die Leser an die niedrigen Preise gewöhnen, zum anderen mag der eine oder andere nicht mehr erkennen, wo die Qualitätsunterschiede zwischen einem professionell lektorierten Hardcover und einem selbstpublizierten 2,99-Euro-E-Book liegen. Im Augenblick habe ich aber den Eindruck, dass die erfolgreichen E-Books in Deutschland vor allem den Heftroman ersetzen: preiswert, Genre, mal eben so in der U-Bahn weg gelesen.

Du wirst ja mit Deinen MiMe-Titeln den umgekehrten Weg gehen – vom Verlag heraus, in die Indieszene. Die meisten Indie-Kollegen, ob erfolgreich oder weniger erfolgreich, hoffen ja eher darauf, dass sie mit ihren Werken von einem der großen Verlage entdeckt und veröffentlicht werden.

Und bei wie vielen hat das funktioniert? Die Zahl ist ja noch recht überschaubar. Ich glaube auch nicht, dass sich die Verlage einen Gefallen damit tun, jedes halbwegs gut gehende E-Book zwischen zwei Buchdeckel zu drucken. Am Ende kann man nur hoffen, dass sich Qualität durchsetzt. Die eher nicht so tolle Variante wird es weiterhin geben, aber da wären wir dann wieder beim Vergleich mit dem Heftroman – den hat es auch immer gegeben und er hat weder Hardcover noch Taschenbücher verdrängt. Das Merkmal „Billig“ wird immer manche Leute überzeugen – man muss ja nur in die scheußlichen Fleischtheken der großen Supermärkte schauen –, aber guter Literatur wird das letztlich weder gedruckt noch digital gefährlich werden.

Würdest Du einem jungen Kollegen raten, es zunächst einmal damit zu versuchen bei einem guten Verlag unterzukommen, bevor er/ sie seine / ihre Titel als Indie veröffentlicht?

Nach heutigem Stand der Dinge würde ich immer und auf jeden Fall dem Verlag den Vorzug geben. Autoren sollen und wollen wohl auch in erster Linie schreiben und sich nicht um Marketing und Vertrieb kümmern müssen. Ich habe gerade im Schnelldurchgang mehrere Ratgeber zum Thema Selfpublishing gelesen und das ist grundsätzlich ja auch alles gut und schön – aber wenn man wirklich alles so macht, wie es dort geraten wird, dann kommt man kaum noch dazu, wirklich gründlich und konzentriert eine gute Geschichte zu erzählen.



Drachenreigen, Kai Meyers Shortstory bei Amazon.de

Freitag, 20. Juli 2012

Thriller ohne Killer

„Geld macht nicht korrupt - kein Geld schon eher“

 Dieter Hildebrandt, Satiriker / Kabarettist 





Worum geht es in „Der Preis“


Lenin Albert Nolde ist Gründer und Chef eines aufstrebenden Sicherheitsunternehmens in Paris. 
Eigentlich hat er es geschafft: Sein Laden brummt und er verdient eine Menge Geld. 
Doch was wichtiger ist: Nolde mag seinen Job. 
Daneben mag er sonst nicht viel anderes.
Er hat weder eine Frau noch eine Geliebte, und der Sportwagen, den er sich vor Jahren mal zulegte, setzt in einer Garage Staub an.
Aber irgendetwas zehrt an ihm. Da ist eine Rechnung, die unbezahlt blieb und ihm zunehmend Gewissenbisse bereitet.
Diese Rechnung hängt auf mysteriöse Weise mit dem Fall der attraktiven Versicherungsangestellten Milena Fanu (ausgesprochen: Fanü) zusammen. 


"Der Preis" bei Amazon.de




Schnitt / Zwei Jahre zuvor.
Milena Fanu hat alles, was sie sich wünschen kann: sie ist intelligent, attraktiv, und hat eine erstklassige Ausbildung genossen. Sie besitzt ein hübsches Appartement, einen neuen Wagen und ihr Job als Mathematikerin bei einem Versicherungskonzern macht ihr Freude. 
Sie spendet regelmäßig für Greenpeace, Ärzte ohne Grenzen und Amnesty International. 
Hin und wieder träumt sie davon demnächst ihrem Traumprinzen über den Weg zu laufen, doch hat sie es so eilig damit nun auch wieder nicht.   
Das alles ändert sich, als Milena eines Nachmittags von zwei falschen Polizisten entführt wird. 
In einem schalldicht gepolsterten Raum wird sie von zwei Frauen erwartet, die Ganzkörperoveralls und Masken vor den Gesichtern tragen. Der Overall der einen trägt die Ziffer Eins, der der anderen die Ziffer Zwei.
Nummer Eins und Nummer Zwei fesseln Milena in eine seltsame Art Stuhl, der ein wenig an einen Zahnarztstuhl erinnert. Die Entführer installieren eine Videokamera, die jede von Milenas Regungen in dem Folterstuhl aufzeichnet.
Dann unterzieht man sie einem offenbar völlig sinnlosen Verhör.
Milena kann sich absolut nicht erklären weshalb man sie entführt haben sollte. Denn weder besitzt sie  ein nennenswertes Vermögen, noch verfügt sie irgendwelche brisanten  Informationen. 
Während man Milena weiterhin einer Reihe raffinierter Torturen unterzieht, reift in ihr die Überzeugung: Ihre Entführer sind irgendwelche Terroristen und sie ist ein willkürlich gewähltes Opfer.  Sie wird ihre gepolsterte Zelle offenbar nicht mehr lebend verlassen.  
Und Milans Folter wird von Minute zu Minute brutaler und unbarmherziger... 

 

Thriller ohne Killer




„Der Preis“ ist ein Thriller der ohne Killer auskommt. Der Spannungsfokus des Buches liegt eher auf der Psychologie seiner Helden, als darauf mit möglichst vielen, möglichst bizarr angerichteten Leichen Grauen zu erregen. Nicht die Frage danach, wer nun der Mörder war steht im Mittelpunkt dieses Thrillers, sondern die Fragen:  

Wer hat Milena entführt? 

Waren das tatsächlich Terroristen? 

War sie wirklich ein willkürlich ausgewähltes Opfer?

Weshalb wurde sie entführt? 

Und woher rühren Noldes zunehmend intensivere Gewissensbisse im Fall Milena Fanu?

Dienstag, 17. Juli 2012

Bestsellerautor A. Eschbach - kein Blackout


Hallo Andreas Eschbach, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen meine Fragen zu beantworten.  Sie sind ein echter deutscher Bestsellerautor, von denen es so viele ja nun auch nicht gibt. Mehrere Ihrer Titel schafften es auf die SPIEGEL Bestsellerliste. Trotzdem fand ich auf Ihrer Webseite den Hinweis, dass weniger als 100 freie Autoren im deutschen Sprachraum wirklich von ihren Büchern leben können.

Woran liegt’s? Zahlt sich die SPIEGEL Bestsellerliste für Hardcover doch schlechter aus als man gemeinhin annimmt? 

Die meisten Menschen haben in der Tat völlig übertriebene Vorstellungen davon, was man mit Büchern verdienen kann. Tatsächlich macht das gesamte deutsche Verlagswesen nicht mehr Umsatz als eine der großen Kaufhausketten. Man muss als Autor schon sehr erfolgreich sein, um ein Einkommen zu erzielen, das sich mit dem eines normalen leitenden Angestellten messen kann. Und das, obwohl der deutschsprachige Buchmarkt der drittgrößte der Welt ist!
Deswegen sage ich immer, Schriftsteller ist kein Beruf, sondern eine Karriere, vergleichbar dem Tennisspielen. Wenn man da nur auf Ranglistenplatz 95 ist, muss man auch schon kratzen, um durch den Monat zu kommen. Auch wenn die auf den einstelligen Ranglistenplätzen absahnen.

Immerhin gibt es mittlerweile Indie-Autoren, die behaupten ihre Bücher mehrere Zehntausend Mal verkauft zu haben. Das sollte die Aussichten für Nachwuchsautoren doch etwas aufhellen, oder nicht?  

Ja, da entsteht ein faszinierendes neues Betätigungsfeld. Allerdings schlüpfen die richtig erfolgreichen Indie-Autoren bis jetzt doch gern unter die Fittiche eines Verlages, wenn einer ruft – was meines Erachtens zeigt, dass Verlage immer noch ihre Daseinsberechtigung haben. Man kann das ganz fundamental betrachten: Fortschritt heißt immer, feinere Arbeitsteilung. Es ist für einen Autor vorteilhaft, sich ganz aufs Schreiben konzentrieren und alles, was mit der Publikation zu tun hat, anderen überlassen zu können.
Verlage sind von ihrer Funktion im kulturellen Prozess her „Qualitätsportale“ – von einem Roman, der bei Diogenes erscheint, erwartet man etwas Bestimmtes, von einem Roman, der bei Bastei-Lübbe erscheint, etwas anderes. Durch die Bündelung der Autoren, die unter dem Dach eines Verlags erscheinen, entsteht ein gemeinsames Bild, das auf alle Autoren abfärbt und zu dem neue Publikationen passen müssen. Das Ganze ist eine Orientierungshilfe für Leser, die Bücher zu finden, die ihnen zusagen. Sollten Verlage vergessen, dass dies ihre Kernfunktion ist, kann es sein, dass sie verschwinden. Was ich, wohlgemerkt bei aller Sympathie für den Indie-Bereich, bedauern würde.

Sie sind einer der Kollegen, die ziemlich früh konsequent das Internet für sich genutzt haben. Sie betreiben eine gut sortierte Webseite, sind bei G+ aktiv und für Ihre Bücher existieren Fanseiten bei Facebook. Sind Sie einfach nur fasziniert vom World Wide Web oder ist es für Sie auch knallhart kalkuliertes Geschäft da möglichst breit sichtbar zu sein?

Also, den Begriff „knallhart kalkulieren“ bringe ich mit meiner Lebenseinstellung nicht zusammen. Jemand, der „knallhart kalkuliert“, lässt das Schreiben und macht etwas, das richtig Geld einbringt – wird Unternehmer oder Hedgefond-Manager oder dergleichen.
Nein, das Internet hat mich als computeraffinen Menschen natürlich von Anfang an fasziniert, und eine eigene Website zu basteln, das hatte immer etwas von „ich mache eine Schülerzeitung“. In der Hauptsache mache ich es also, weil es Spaß macht. Und so breit sichtbar bin ich gar nicht; ich bin beispielsweise nicht bei Facebook – anfangs ehrlich gesagt deshalb, weil mich das Design der Seite abstieß. Inzwischen sind es andere Dinge, die mich daran abstoßen.


Andreas Eschbach (Foto: © 2011 Marianne Eschbach)


Wie sehen Sie den E-Book Markt als Verlagsautor? Ist da bisher etwas für Sie zu holen gewesen? Bringt das E-Book langfristig Schaden, ist es womöglich ein Segen, doch eher Fluch – oder womöglich schlicht irgendetwas dazwischen? 

Ich sehe es zunächst einfach als neues Medium. Und wie jedes neue Medium bringt es erst mal Aufruhr in die bestehenden Verhältnisse, bis sich ein neues Gleichgewicht einpendelt.
Wobei ich gestehen muss, dass ich anfangs skeptisch war. Lesen am Bildschirm? Das war mir unvorstellbar – bis ich damals ein Rocket-Book in die Hand bekam und mich unversehens in einer Kurzgeschichte von Frederik Forsyth festlas. Da war ich bekehrt und habe mir das Ding gekauft. Leider gab es wenige Bücher dafür, und dann machte die Firma Pleite, was mich auf die harte Tour lehrte, dass DRM nicht die Lösung sein kann.
Nach einigen Jahren Abstinenz habe ich mir dann wieder einen Reader zugelegt, ein eher exotisches Modell, dessen Bedienbarkeit nicht schwiegermutterkompatibel wäre, aber muss ja nicht. Ich benutze das Gerät vor allem, um meine eigenen Manuskripte in den verschiedenen Stadien der Entstehung probezulesen. An den Markt der verfügbaren eBücher taste ich mich erst heran – bis jetzt lade ich meist nur Leseproben, anhand derer ich dann entscheide, welche Bücher ich mir zulege … aber in Papierform. Bis jetzt, wie gesagt.

Immerhin bürgt ein Verlagslabel auf dem Buchcover ja dafür, dass da Lektorat, Korrektorat, Cover und was dergleichen noch mehr ist, professionell gehandhabt wurden. Wird das allein ausreichen um in der derzeit immer schärfer werdenden Konkurrenz im E-Book Markt zwischen Indie-Autoren und Verlagsautoren langfristig mithalten zu können?

Sie vergessen das Marketing, allem voran die Platzierung der Bücher in den Buchhandlungen. Das ist bis jetzt nach wie vor Verkaufshilfe Nummer eins: Wenn das Ding im Laden steht.
Aber gut möglich, dass gerade eine Generation heranwächst, die es seltsam finden wird, dass man mal Bücher auf Papier gedruckt hat. Das wird die Spielregeln natürlich ändern.
Nicht ändern wird sich, dass ein Buch eines Lektorats – oder mehrerer – bedarf, um zu seinem vollen Potential zu finden. Was aber nicht zwingend einen Verlag voraussetzt; das sind Dienstleistungen, die man auch einkaufen kann – oder eintauschen, wie es ja wohl inzwischen viele Autoren machen, was ich so mitkriege.
Auch die zur Verfügung stehenden Tools werden immer besser – wenn ich an dieser Stelle auf die Textverarbeitung „Papyrus“ hinweisen darf, deren Entwickler dankenswerterweise ein paar Vorschläge von mir, was ein wirklich professionelles Schreibprogramm können sollte, umgesetzt haben, sodass nun eine Software zur Verfügung steht, die doppelte Wörter anzeigt, Passivkonstruktionen anmahnt und auf schwierig lesbare Textstellen hinweist und so weiter. Kann einen menschlichen Lektor nicht ersetzen, aber trotzdem viel bringen.

In der Buchbranche debattiert man ja heiß darüber, ob es schädlich für den Markt sei, wenn bei den großen Plattformen wie Amazon.de die Charts immer mehr von Titeln zu 99 Cent bzw. 2,99 Euro dominiert werden. Wie stehen Sie dazu? Ist es bald an der Zeit da irgendwie eine Reißleine zu ziehen?

Wie sollte so eine Reissleine aussehen? Nein, Preise bilden sich durch Angebot und Nachfrage; da sehe ich kein Problem. Die Buchverlage hatten bis jetzt ja auch kein Problem damit, dass man an Kiosken Heftromane für wenig Geld kaufen konnte. Von denen sind auch nicht alle schlecht, und sie haben Auflagen, die die der meisten Bücher in den Schatten stellen. Das wird sich schon alles einpendeln, da braucht man sich keine Sorgen zu machen.

Stichwort Urheberrechtsdebatte. Da wird verbal zunehmend schärfer geschossen. Haben Sie in dieser Sache schon eine Petition unterzeichnet? Und falls ja – welche und weshalb? Oder halten Sie Ihren Namen von solchen Dokumenten grundsätzlich lieber fern?

Nein, ich habe keine Petition unterzeichnet. Ich habe mich an ein paar Diskussionen beteiligt, als das Thema hoch kochte, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass das ein Sturm im Wasserglas ist: Das Urheberrecht ist erstens ein international abgestimmtes Recht und zweitens für eine moderne Gesellschaft unverzichtbar; da wird sich grundlegend nicht viel ändern, ganz egal, was in Onlineforen derzeit debattiert und gefordert wird.

Unter vielen Autoren herrscht die Ansicht, dass es gefährlich sein könnte seine Werke selbst als E-Books zu publizieren, da dies womöglich von den Verlagen als anrüchig betrachtet würde und daher einen Verlagsvertrag von vornherein ausschließt. Ist da Ihrer Meinung nach etwas dran? 

Früher war das so, dass man seinem Werk durch eine Selbstpublikation den Weg in einen richtigen Verlag verbaut hat. Aber das ist inzwischen Geschichte. Würde ich heute als Autor anfangen, wäre das selbstpublizierte eBook auch mein Mittel der Wahl, wenn sich die Ablehnungsschreiben stapeln. Wie ich es ja anfangs auch erlebt habe – ich besitze von allen wichtigen deutschen Verlagen Ablehnungsschreiben, auch von denen, bei denen ich heute veröffentliche!

Nicht nur Wolfgang Tischer vom literaturcafe.de sieht mittelfristig die Zukunft des stationären Buchhandels in einem düsteren Licht. Sie ebenfalls?

Ja, ich auch. Als Buchhändler würde ich mir inzwischen eine Exit-Strategie überlegen. Ich fürchte, die Zahl der Buchhandlungen wird in zehn Jahren auf die Hälfte gesunken sein – und das wird auch die großen Ketten betreffen. Die vielleicht sogar vor allem.
Wer sich das nicht recht vorstellen kann, der überlege mal, wie viele Musikgeschäfte es vor fünfzehn Jahren gab und wie viele heute. 

Was wirft Sie bei der Arbeit an einem neuen Roman garantiert „aus der Bahn“? 

Reisen. Eine Woche vor und eine Woche nach einer Reise läuft bei mir praktisch nichts. Meine bisherigen Lesereisen haben zusammengenommen schon mindestens einen Roman gekostet, der ungeschrieben bleiben wird.

Was ist das absolute „No-Go“ für Autoren im Umgang mit ihren Lesern?

Leser für ihre Meinung zu kritisieren. Jeder Leser hat das Recht, jedes beliebige Buch nicht zu mögen, und wenn es zufällig das eigene Buch ist, muss man als Autor schlucken und es kommentarlos hinnehmen.




Freitag, 13. Juli 2012

Leander Wattig - der Blogger


Leander Wattig ist Blogger. Zudem unterstützt er Medienunternehmen und Kreativschaffende als freier Berater, hält Vorträge, nimmt Lehraufträge wahr und engagiert sich als Vorstandsmitglied der Theodor Fontane Gesellschaft.

Hallo Leander, danke dass Du Dir die Zeit nimmst, hier ein paar Fragen zu beantworten. Du bist ein profilierter Blogger, hast die sehr erfolgreiche Initiative „Ich mach was mit Büchern“ ins Leben gerufen und bist als Strategieberater in der Buchbranche gefragt.

Was ist das Geheimnis eines erfolgreichen Blogs?

Natürlich gibt es allgemein wichtige Punkte wie die Relevanz der Inhalte, eine hohe Posting-Frequenz und die Interaktion mit den Lesern. Im Idealfall wird der Blog zu einer Plattform für ein viele Menschen verbindendes Thema, sodass eine richtige Gemeinschaft entsteht. Ich persönlich habe mich von Anfang an bemüht, auch immer Inhalte mit klarem Nutzwert zu liefern – Stichwort Fakten, Fakten, Fakten. Zudem habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, so wie ich es auch bei meiner Buchbranchen-Vernetzungs-Initiative "Ich mach was mit Büchern" tue.

Wie siehst Du das Phänomen der Indie-Autoren, bzw. des Selfpublishing? Bringt das langfristig eher Vorteile für den Buchmarkt? Es existieren ja Bedenken, dass der Erfolg von Ebooks über kurz oder lang zur Bedrohung nicht nur für die großen Ketten wie Thalia und Hugendubel, sondern auch für den Tante Emma Buchladen um die Ecke werden könnte.

Ich störe mich etwas an dem Begriff "Self-Publishing". Früher war es vielleicht etwas Ungewöhnliches und tendenziell Minderwertiges, wenn jemand im Selbstverlag publizierte, weil das Publizieren im Normalfall über Verlage lief. Heute aber sind wir doch alle, auch in den Verlagen, Self-Publisher und schreiben in irgendeiner Form ins Internet – und sei es über Statusmitteilungen bei Xing oder Facebook. Die Übergänge hin zum klassischen Buch sind sehr fließend geworden. Der Begriff "Self-Publishing" unterstützt daher aus meiner Sicht ein Stück weit das Schubladen-Denken, welches wir ja oft beklagen. Um auf die Frage zurück zu kommen: Ich persönlich finde das ganze Feld super, weil dank der neuen Technik heute jeder die Chance hat, sich öffentlich auszudrücken und sich mit seiner Botschaft Gehör zu verschaffen. Das ist so eine tolle Errungenschaft, dass ich mich oft ärgere, wenn dies in den Alltagsdiskussionen rund um Geschäftsmodelle und Qualitätsinhalte völlig untergeht. Es ist erstmal nämlich gar nicht entscheidend, ob diese Entwicklung gut für den Buchmarkt ist oder nicht. Sie ist gut für unsere Gesellschaft und das zählt. Aufgabe der Akteure des Buchmarktes ist es nun, Wege zu finden, wie man mit den neuen technischen Gegebenheiten bestmöglich umgehen kann.



 Leander Wattig, Blogger, Berater und Internetmedienexperte


Wo liegen Deiner Beobachtung zufolge, die typischen Fehler, die Indie Autoren bei ihren Veröffentlichungen begehen?

Meinem Eindruck nach könnten viele Autoren noch gezielter eine „Gefolgschaft“ bzw. eine Fanbasis auf- und ausbauen. Das Internet bringt ja die große Chance des direkten Leserkontaktes mit sich. Je direkter und nachhaltiger ich Beziehungen zu meinen Lesern pflege, desto unabhängiger bin ich vom Zufallserfolg einer einzelnen Buch-Veröffentlichung. Wie das gelingen kann, gehört zum neuen Themen-Schwerpunkt meines Blogs leanderwattig.de.

Hast Du einen heißen Marketingtipp für Indie-Autoren?

Viele Autoren engagieren sich sehr stark bei Facebook & Co., vernachlässigen für meinen Geschmack aber etwas ihre eigenen Websites. Das geht schon damit los, dass viele Autoren Blogs bei Blogger betreiben und dort die Webadresse “XYZ.blogspot.com“ nutzen. Das bedeutet aber, dass jeder generierte Link auf eine Google-Domain führt, was hochbedauerlich ist, da Links die harte Währung im Web sind. Zudem würde ich mich fragen, wie man die Erfolgsfaktoren der Social-Media-Plattformen wie Facebook auf die eigene Website übertragen kann, um die Leute möglichst dorthin zu locken. Denn nur auf der eigenen Website bestimme ich als Autor die Regeln, die Präsentation und kann alles auf den Buchverkauf hin optimieren. – Wichtig ist natürlich nach wie vor auch das Thema Social Media Marketing und da speziell der Erfahrungsaustausch unter den Autoren. Niemand hat eine Glaskugel oder die Weisheit mit Löffeln gefressen, weshalb es am besten ist, sich untereinander darüber auszutauschen, was funktioniert und was nicht. Speziell dafür betreiben wir den Virenschleuder-Preis und wir freuen uns sehr über Nominierungen von Autoren.

Wo siehst Du den deutschen Buchmarkt in zwei Jahren? Werden Indie-Autoren darin wirklich eine ständig größer werdende Rolle spielen? Immerhin bietet Amazon mit seinem Create Sprace Programm ja mittlerweile auch für Indie-Autoren die Möglichkeit ihre Titel in Taschenbuchform an den Leser zu bringen?

Heute geht noch das Meiste vom Print-Buch und der klassischen Verlags-Publikation aus. Self-Publishing erscheint bisher als ein Sonderweg. Künftig wird aber das Self-Publishing zunehmend der Standard sein und die Bücher, welche sich dort hervorgetan haben, werden von Verlagen und anderen Dienstleistern zusätzlich gepusht werden. Entscheidend wird die Autoren-Marke sein, um sich im Meer der Veröffentlichungen sichtbar zu machen.

Welche Frage wolltest Du schon immer einmal von einem Journalisten gestellt bekommen und weshalb gerade diese?

Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken gemacht. Ich finde aber sehr gelungen, wie es „Nardwuar the Human Serviette“ macht, der für mich der Großmeister des Künstler-Interviews ist. Er fragt immer, ob es noch irgendwas gibt, was die Welt da draußen wissen sollte. So gefragt würde ich darauf hinweisen, dass wir am 30.07. bei unserem Publishing-Stammtisch Pub ’n’ Pub Frankfurt zusammen mit Cora Stephan passenderweise diskutieren, was Autoren suchen/erwarten und was Verlage leisten (können). Da wird es also um ganz viele Themen gehen, die ich hier angerissen habe. Wir sind eine offene Runde und alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Infos dazu gibt es hier.




Donnerstag, 5. Juli 2012

No Shades of Grey - Nora Schwarz


Nora Schwarz ist mit dem Buch „Lessons in Lack“ bekannt geworden, in dem sie leicht fiktionalisiert ihre Erlebnisse in einem SM-Studio beschreibt, für das sie neben ihrem Studium der Kunstgeschichte vier Jahre als Domina tätig war.  
Dominas, das sind Frauen, die stets hochgeschlossen in Lack und Leder auftreten und Männer zum Vergnügen quälen und foltern.
Soweit das Klischee.  Wie bei den meisten Klischees, die uns so schön durchs Leben helfen, steckt in Wahrheit viel mehr dahinter.
Ich habe Nora hier nicht nur allgemein zu ihren Neigung und Leidenschaften befragt, sondern auch in Bezug auf bestimmte Aspekte des S&M, die tatsächliche oder vermeintliche Überschneidungen zu meinem neuen Thriller „Der Preis“ aufweisen. In dem es unter anderem auch darum geht, auf welche Art und Weise man den Willen eines Menschen brechen kann.

Hallo Nora, vielen Dank, dass Du Zeit für meine Fragen gefunden hast.  Ich nehme an, dass eine Menge Kollegen dieses Interview damit beginnen würden, Dich zu fragen, wie viele Männer Du in letzter Zeit verprügelt hast.
Ich will das vermeiden und frage stattdessen: wie viele Lederjacken und High–Heels hast Du im Schrank? Sind das deutlich mehr als in den Schränken anderer Frauen?

Tja, die Frage nach den Männern hätte ich dir auch gar nicht beantworten können. Beziehungswiese nur mit „einem“ beziffern können.
Ich arbeite seit vier Jahren schon nicht mehr als Domina, lebe meine Neigungen aber privat sehr ausgiebig. Aber eben rein monogam.
Ich bin leidenschaftliche Latex-Fetischistin und erfülle auch voll und ganz das Frauen-und-Schuhe-Klischee. Deswegen, ja - ich habe ziemlich viele Fetischklamotten und Mörder-Heels im Schrank.


Nora Schwarz, Autorin, ohne Neigung zu Grauzonen

In letzter Zeit ist S&M ja schick geworden. Die Werbe- und Filmindustrie arbeitet mit Bildern und Settings, die man zuvor eher ausschließlich der Subkultur des S&M  zugeordnet hätte.
Was glaubst Du, woran liegt es das die Unterhaltungs- und Werbeindustrie seit einiger Zeit Fetischismus und S&M für sich entdeckt hat? Liegt’s nur am Reiz des vermeintlichen Tabubruchs? Ich meine Entertainment und Werbung sind ja knallhartes Geschäft, da geht man selten wirklich große Risiken ein.
 
Ich denke, dass es an der Maschinerie des Kapitalismus liegt, ganz einfach. Dieses System ist ständig auf der Suche nach vermarktbaren neuen Trends. Sieh Dir die einstigen Subkulturen doch mal an: Gothic, Punk, Hippies - Markenzeichen, Farben, Schnitte und überhaupt der ganze Stil fließen in den Mainstream ein. Mit Musik und Ästhetik ist es das Gleiche. Bei SM- und Fetisch kommt natürlich der Reiz des einstigen Tabus dazu. Und, sorry, dass ich es so platt ausdrücken muss: Sex sells.
Ich bemerke schon auch eine immer größer werdende Toleranz gegenüber diesem Thema, und dafür ist die Einspeisung in den Mainstream vielleicht gerade gut.
Wenn so etwas allgegenwärtig ist, in Modemagazinen, Reportagen, Werbung, können Menschen ihre Scheu davor abarbeiten und einen Schritt auf das „Tabu“ zumachen. Ich denke, es ist im Großen und Ganzen ein Vorteil.

Erst kürzlich hat „Fifty Shades of Grey“ für Furore gesorgt. Ein Roman, in dem eine junge Frau sich wollüstig den harten Fessel- und Dominanzspielchen ihres Traumprinzen unterwirft. Vor allem in Großbritannien und den USA hat das Buch heiße Diskussionen ausgelöst. Sogar Newsweek brachte eine Coverstory darüber, dass angeblich gerade moderne Karrierebewusst Frauen besonders dazu neigten sich devoten masochistischen Sexspielen hinzugeben. Die Frau also doch als das schwächere Geschlecht?
Immerhin haben Frauen zumindest in der westlichen Welt heute ja mehr politische und ökonomische Macht erlangt, als je zuvor.  Weshalb dann trotzdem offenbar dieser Hang zur Unterwerfung? Fällt da die sexuelle Phantasie den Errungenschaften des Feminismus sozusagen heimlich in den Rücken?

Bei dieser Frage möchte ich auf meinen aktuellen Blogeintrag verweisen, darin bin ich dem Thema etwas tiefer auf den Grund gegangen, weil es mich selbst regelmäßig verwundert, dass ich auf SM-Playpartys meistens die einzige, oder eine von sehr wenigen aktiven dominanten Frauen bin.
Das mit den karrierebewussten Menschen – ja, ich meine auch Männer – die dazu neigen, sich devoten Spielen hinzugeben, sehe ich etwas kritisch. Denn das würde bedeuten, dass diese Neigungen abhängig sind von Faktoren wie Karriere, Einkommen und sozialem Stand. Eine Hauptfigur in „50 Shades ofGrey“  ist ja dieser Milliardär, der sadistisch und dominant ist. Man kann aus dem beruflichen Erfolg nicht so viel ableiten. Aber was Frauen betrifft – es scheint für devote Frauen nie ein Problem zu sein, privat einen dominanten Partner zu finden, wohingegen devot veranlagte Männer meistens den kommerziellen Weg zu einer Profi-Domina nehmen (müssen?).
Devote Frauen scheinen als etwas „normaler“ angesehen zu werden als devote Männer, und das hat ganz eindeutig einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Die ehemals guten weiblichen Werte von Dienstbarkeit, Unterwürfigkeit und Zurückhaltung werden uns zwar heute nicht mehr aktiv eingeprügelt, aber das patriarchale System findet über Mode, Werte und Schönheitsideale immer noch erfolgreiche Mittel, um Frauen an der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu hindern.
Wer sich als Frau mit diesen Werten herumschlagen muss, kann nicht wachsen, kann keine Stärke entwickeln. Schwäche und Unterwürfigkeit sind immer noch geschlechtsimmanent bei Frauen. Ich denke, dass gerade Dominas auch deswegen vielen so unheimlich sind, weil sie etwas tun, was scheinbar nicht passt zum Frau-Sein. Dominas sprengen diese Grenzen, und das ist ein harter Weg.
Natürlich haben wir als Frauen heute scheinbar die Möglichkeit, ein Land zu regieren, eine riesige Firma zu leiten (offenbar deswegen, weil das nur funktioniert, wenn sich diese „mächtigen“ Frauen zu Bauchrednerpuppen der freien Marktwirtschaft machen lassen), oder Familie, Karriere, Sex und Schönheit unter einen Hut zu bringen.
Aber für Frauen bedeuten diese Wege ungleich mehr Kraft und Durchsetzungsvermögen als für Männer. Die Gesellschaft flüstert uns ständig ein, dass der einfachere Weg der bessere wäre. Und diese Werte verinnerlichen wir und manche sublimieren sie sexuell. Das Gute daran ist jedoch: Der devote Part in einem SM-Spiel hat immer alle Macht, denn er entscheidet, wann das Spiel endet, wenn er keine Lust mehr hat.
Devot zu sein, sich auszuliefern hat viel mit Stärke und Mut zu tun. In Liebe ausgelebt hat es enorme befreiende Kräfte.
Und letztendlich haben Frauen dadurch die Macht, etwas, das Jahrtausende lang Normalität für ihr Geschlecht war, in Lust umzuwandeln. Und das ist wunderbar.

Was läuft eigentlich in den Köpfen von Menschen ab, welche die Dienstleistungen einer Domina buchen?

Ja, das frage ich mich auch manchmal. Ich denke, bei vielen ist Scham dabei, und vielleicht auch ein gewisses Bedauern.
Ich meine, wer wünscht sich nicht, dass man in einer privaten Beziehung seine Neigungen ausleben kann.
Ich habe Männer, die sich mir ausgeliefert haben, immer bewundert und respektiert, denn es gehört viel Mut und Vertrauen dazu, sich einer Fremden hinzugeben.
Diese Neigungen sind etwas sehr Privates, haben ihren Auslöser vielleicht in einem seltsamen, verstörenden Kindheitserlebnis. Das macht doppelt verletzlich.
Ich glaube, dass viele Männer insgeheim hoffen, ungewöhnlich mit ihren Veranlagungen zu sein, ihre Herrin damit zu überraschen. Aber in der Tat ähneln sich die Gelüste der meisten Domina-Gäste sehr stark. Ich denke, sie hoffen einfach nur in guten Händen zu sein.

Was braucht es – Deiner ganz persönlichen Meinung nach – um eine gute Domina, einen guten Meister abzugeben?

Ich persönlich habe Erfahrungen auf der passiven Seite gemacht, bevor ich die Domina in mir entdeckt habe. Das ist eine gute Schule. Es ist inspirierend, als dominanter Part zu wissen, wie es sich anfühlt, ausweglos gefesselt und geschlagen zu werden. Gedemütigt und wieder aufgefangen zu werden. Respekt gehört dazu und Liebe. Liebe zu den Menschen und zu diesem ganz speziellen Energieaustausch. Man braucht Geduld, Hingabe, viel Gelassenheit und - ja, auch ein dickes Fell. Aber niemals darf eine Domina oder ein Master seine/n Sub irgendwie verachten. Denn wie will man dann, wenn die Session wieder vorbei ist, demjenigen auf Augenhöhe begegnen?

Ich habe vor kurzem ja mein neuestes Buch „Der Preis“ veröffentlicht. Die Arbeit daran erforderte eine Menge Recherche in die Abgründe der menschlichen Seele. 
In einem der Bücher, die ich im Laufe der Recherchen las, „The Lucifer Effect“ von Philip Zimbardo, wird berichtet dass eine erfolgreiche junge Doktorandin eines der Bilder aus dem Gefängnis von Abu Ghuraib, als „verdammt sexy“ charakterisierte. Es handelte sich dabei um jenen Schnappschuss auf dem die Soldatin Lynndie England einen gefangenen Iraker an einer Hundeleine durch den Gefängnisflur dirigiert. Angesichts dessen: Wo liegt für Dich denn die wirklich „dunkle Seite des Sex“?

Wenn es nicht einvernehmlich ist. Wenn eine Vergewaltigung nicht bewusst erlebt werden will. Klar, man könnte sich fragen, was ist schon Gewalt, wenn sie erwünscht ist? Ich habe leider die Erfahrung gemacht, dass sich in der SM-Szene auch viele psychisch vorbelastete Menschen bewegen, und bei ihnen ist Auslieferung oder Dominanz immer eine starke Kompensation für irgendeine unbewältigte Seelengeschichte. Wenn man SM nicht gesund und lustvoll auslebt, verschwimmen schnell die Grenzen. Die Grauzone zwischen „kann ich noch ein bisschen weitermachen, oder ist hier absolut Schluss?“ , zwischen „ich liebe Dich, weil Du mir erlaubst, Dich zu quälen“ und „Ich lasse mich quälen, damit ich mein Selbstbild als Opfer aufrecht erhalten kann“ ist leider sehr schwierig auszuloten. Das ist ein vermintes Feld, und oft weiß der Partner gar nichts davon. Das kann längerfristig nur schief gehen. 

Der berüchtigte Schnappschuss: Lynndie England & Gefangener an Hundeleine
Aber noch einmal zu dem Bild: Ich weiß nicht, was daran sexy sein soll. Man kann ein Bild doch niemals ohne Kontext sehen. Und der Kontext dieses Bildes ist – eine kranke Frau aus einer kranken Gesellschaft empfindet Genugtuung dabei einen wehrlos gemachten Mann noch weiter zu entmenschlichen, weil sie sich auf der Seite des Rechts wähnt. Hat diese Frau dominante Gelüste? Konnte sie die in einem lustvollen Rahmen vielleicht nicht ausleben und musste deswegen auf einen Iraker losgehen? Dabei ist kein Molekül an Lust.  Jedem, der dieses Bild sieht, sollte eigentlich alles an Lust vergehen.

Bei meinen Recherchen zu „Der Preis“ stieß ich auch auf einen Film „Down came a blackbird“.  Er spielt in einer Spezialklinik für Folteropfer. Sein ganz besonderer Twist besteht allerdings darin, dass sich einer der Insassen zuletzt als Folterer zu erkennen gibt, aber dennoch behauptet: „Ich bin auch ein Opfer.“
Glaubst Du, dass Folter genauso traumatisch auf den Folterer wirken kann, wie auf das Opfer? Kannst Du diese Aussage daher nachvollziehen und weshalb?
 
Das ist eine Frage, über die ich noch nie nachgedacht habe. Ich habe bisher immer nur über die Opfer nachgedacht, nie über die Täter.
Natürlich stigmatisieren wir Menschen, die andere quälen, etwa KZ-Schergen oder auch Soldaten als etwas Böses, Unmenschliches. Wir glauben, dass diese Menschen aus reinem bösartigem Sadismus in die Position gekommen sind, andere zu quälen. Ich denke, dass ein KZ-Aufseher, der seine Position genossen und mit sadistischer Genugtuung ausgeführt hat, niemals sagen würde, dass er ebenfalls ein Opfer ist.
Aber es gab bestimmt Biografien, in denen Menschen in solche Positionen gelangt sind und sich nicht mehr aus der Gewaltspirale befreien konnten. Vielleicht aus der Angst heraus, dass sie sich bei Verweigerung ihrer Aufgabe an Stelle derer landen, die sie foltern.
Andererseits glaube ich, dass man schon eine gewisse Veranlagung mitbringen muss, um in einer solchen Position zu landen. Aber einige hatten wahrscheinlich keine Wahl. Wie viele Vietnam-Veteranen sind mit patriotischem Hochgefühl in den Krieg gezogen und angesichts der Abgründe, in die sie in sich selbst blicken mussten, als selbstmordgefährdete Wracks zurückgekehrt.
Ich denke, der Opferaspekt bei ehemaligen Folterern liegt hauptsächlich in der Gehirnwäsche, der sie unterzogen wurden. In dem Dogma, dass Du foltern darfst, weil der Mensch, dem Du das antust, auf eine so gravierende Art und Weise „anders“ ist, dass er es verdient hat. Dass das Recht auf Deiner Seite ist. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Tierversuche durchgeführt werden.
Wenn diese negative Prägung durch ein positives Bewusstsein abgelöst wird, fühlt man sich bestimmt schnell als Opfer und ist es in gewisser Weise auch.

Glaubst Du, dass insgeheim sexuelle Lust angesichts von Demütigungen gar Verletzungen oder Folterungen zu empfinden, ein deutlich weiter verbreitetes Phänomen ist, als man das allgemein wohl vermutet?

Wer weiß schon, was in der Fantasie der Menschen vor sich geht? Die meisten wissen es ja nicht mal selber. Nicht viele kennen den Ursprung einer diffusen Lust, und Dinge wie Ethik und Moral, Scham und Schuldgefühle verbieten es uns, angesichts von Leid Lust zu empfinden.
Ich weiß auch nicht, woher es kam, dass ich als Kind beim Lesen von Piratenbüchern erregt war, wenn Jünglinge an den Mast gefesselt und ausgepeitscht wurden. Ich denke, der Aspekt der Ohnmacht darin hat mich irgendwie angemacht. Ich dachte mir eine lustvolle Ohnmacht dazu ohne das bedrohliche, lebendgefährliche Element. Ich habe eine Situation genossen, die ich in der Realität niemals erleben wollte. Vielleicht fühlen Menschen, die sexuelle Lust im Angesicht von echtem Leid haben, ganz ähnlich.
Ich finde aber, man sollte angesichts gequälter, erniedrigter Menschen  eine klare Trennlinie ziehen zwischen „Ich will das selber erleben“ oder „ich will derjenige sein, der anderen Leid antut“. Wenn Du Dich mit dem Opfer identifizierst, ist das etwas anderes, als wenn Du Dich mit dem Täter identifizierst. Das eine ist irgendwie solidarisch … auf eine ganz verrückte Weise natürlich. Das andere erscheint mir gefährlich, denn da wittert man ja immer den Wunsch, dass dieser Mensch das auch gerne aus Real-Sadismus machen würde, also nicht einvernehmlich.

Kann man(n) oder frau die persönliche sexuelle Neigung zu S&M – ganz gleich welcher Seite – erfolgreich verdrängen, ohne damit langfristig die geistige Gesundheit auf’s Spiel zu setzen? Sind solche Neigungen ebenso fest in uns verwurzelt, wie homosexuelle Neigungen, oder siehst Du da schon gewisse Unterschiede?

Wir leben heute zum Glück nicht mehr in einer Zeit, in der SM-Neigungen verdrängt werden müssen. Um die Wende zum 20.Jhd. forschten vor allem Richard von Kraft-Ebing und Sigmund Freud an Sadismus und Masochismus. Da das gesellschaftliche Verständnis fehlte und diese Neigungen als pervers und behandlungsbedürftig angesehen wurden, waren sie viel eher Gegenstand von Unterdrückung oder Sublimierung. Sicher gibt es auch heute Menschen, die sich überhaupt nicht vorstellen können, dazu zu stehen und Wege des Erlebens zu suchen, weil das Lebensumfeld es einfach nicht zulässt.
Ja, ich denke, dass man damit seine seelische Gesundheit aus Spiel setzt. Das was uns daran hindert es auszuleben, ist ja immer eine von außen aufgestülpte, anerzogene Scham oder ein Schuldgefühl. Und gerade junge Menschen haben immer Angst, anders zu sein, irgendwie nicht normal. Was sich in solchen Prägungsphasen alles abkapselt? Ich weiß es nicht, ich bin keine Psychologin. Vielleicht sollte man dabei aber auch nicht über Dinge wie geistige Gesundheit reden. Ich denke, es macht Menschen unerfüllt und unglücklich. Sie haben dann ein Stück Leere in sich. Und das kann krank machen.

Welche Frage wolltest Du schon immer einmal von einem Journalisten gestellt bekommen, und weshalb gerade diese?

Oh, keine Ahnung.
Vielleicht, was ich für den Weltfrieden tun würde?  
Ganz klar: Alle Wirtschaftsbosse, Politiker, Manager, Aristokraten und Banker in Ketten legen und arbeiten lassen, am besten nackt. Irgendwo, wo sie der Menschheit etwas zurückgeben können.


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