Montag, 17. Oktober 2011

Erfolgsvermeidungsstrategien Teil 1

Im Web existieren inzwischen abertausende Webseiten, Foren und Blogs, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihrer geneigten Zielgruppe entscheidende Hinweise auf dem Weg zum erfolgreichen Schriftsteller mitzugeben.
Herr Gray fand jedoch, dass in dieser unübersehbaren Anzahl von Ratgeberwebseiten und -Blogs, eine ganz bestimmte Zielgruppe bislang noch niemals bedient worden ist: 

Jene Menschen, die literarischen Erfolg um jeden Preis VERMEIDEN möchten. Für diese spezielle Zielgruppe ist diese neue Serie innerhalb von Herrn Grays Blog konzipiert worden. 


Creative Writing Kurse – die Mutter allen Erfolgs-Übels

Wir alle, die wir uns dem Wahren, Schönen, Guten verpflichtet haben, wissen ja: Macht weint nicht. Macht kopiert nicht. 

Macht steht stets und ständig für sich allein. 

Und die Macht – das ist unwiderstehliches, authentisches Talent. 

Doch selbst die größten Talente waren niemals vollständig vor Versuchungen gefeit. 

Daher will ich Dich, lieber Leser, in diesem Blogpost über die wohl furchtbarste Form der Versuchung informieren, die sich Dir auf Deinem Weg in die weite und so ruhmreiche literarische Welt in den Weg stellen wird.
Richtig: Es handelt sich um so genannte Creative Writing Kurse, zuweilen auch als Literaturseminare oder als Das Literaturstudium bekannte Veranstaltungen. 
Du glaubst, dass solche Veranstaltungen ausgerechnet für Dich keine Versuchung darstellen können? Immerhin bist Du ja einer, der so seltenen Vertreter des authentischen Genies und daher über solche Versuchungen weit erhaben.  
Ich rate Dir jedoch: Überwinde Deinen Drang diesen Blogpost achtlos zu übergehen!  Gerade auf so überschäumende authentische Talente wie Dich, lieber Leser, richtet sich die volle Wucht der Marketingmaschine der Literaturseminare und Creative Writing Kurse. 
Daher unterschätze diese Versuchungen besser nicht, folge mir einfach ins Labyrinth der Tricks und Kniffe der Profiteure solcher Veranstaltungen. 

Ich bin sicher: Du wirst es nicht bereuen, denn wie bei allen Betrügereien ist es auch in diesem Falle natürlich so, dass man seine wahren Intentionen unter vollmundigen Versprechen verbirgt. Und Versprechen sind verführerisch. Selbst für Genies. 
Schauen wir also einmal, was sich konkret hinter diesen vollmundigen Versprechungen verbirgt. Betrachte diesen Blogpost einfach als eine Art von Schutzimpfung, ausgeführt mit Hilfe abgeschwächter Erreger, deren Gift Dich und Dein authentisches literarisches Talent sowieso nicht ernstlich zu bedrohen vermag. 
Zunächst einmal ist zwischen zwei verschiedenen Gattungen jener Veranstaltungen zu unterscheiden. 
Die erste Gattung, erwartet selbst von einem Talent wie Dir, nichts weiter als ein in der Regel recht beachtliches Honorar zu überweisen, um Dir Eintritt in die vermeintlich so Heiligen Hallen des Creative Writing Kurses verschaffen zu können.  
Die zweite Gattung ist daran zu erkennen, dass man dort wesentlich raffinierter dabei zu Werke geht, Dich zu ködern. Indem man von Dir erwartet, dass Du eine Probe Deines Talentes zur Verfügung stellst, bevor man Dich als Kursteilnehmer willkommen heiß. 

Selbstverständlich reichte im Grunde auch eine schlichte Einkaufsliste aus Deiner Feder, lieber Leser, als entsprechender Talentnachweis bereits aus. 

Weswegen es Dir jederzeit ein leichtes wäre, eine solche Probe Deines Könnens der fraglichen Institution als Probe Deiner Meisterschaft zuzustellen. Was wirklich dahinter steht, ist der Versuch Dir vorzuspiegeln, Du könntest während jenes Kurses endlich einmal mit Gleichgesinnten und gleichermaßen Talentierten zusammen kommen.  

Gehen wir also davon aus Du lieber Leser hättest tatsächlich der Versuchung nachgegeben und fändest Dich daher nun zwischen anderen neugierigen Kursteilnehmern in irgendeinem pragmatisch kühl eingerichteten Schulungsräume wieder, gespannt darauf, was Dich wohl erwarten möge. 
Was genau ist es nun, das Dich dort erwartet? 
Ein konzertierter Angriff auf Deine Art zu denken, zu schreiben und Dich mit Kritik auseinanderzusetzen. Dazu gedacht, Dich in ein ganz bestimmtes intellektuelles und stilistisches Korsett zu zwängen. 

Denn, vergiss nicht, lieber Leser: Talente wie Du sind gefährlich für das literarische Establishment. Du verfügst über eine instinktive Neigung zum literarischen Experiment und der sprachlichen Erneuerung. Eben das ist es, wovor eine sehr gut geschmierte Publikumsverlagsmaschinerie Angst hat. Und: Angst haben muss. Scheut sie doch in Wahrheit das wirkliche Talent, wie der Teufel das Weihwasser. 
Weshalb magst Du Dich ein wenig verwundert fragen. 

Betonen nicht gerade Vertreter der Verlagsindustrie immer wieder, dass ihnen nichts so sehr am Herzen liege wie literarisches Talent? 

Dies sind jedoch reine Lippenbekenntnisse, lieber Leser. 

Worum es der Verlagsindustrie in Wahrheit geht, ist schnöder Umsatz und möglichst gewaltige Absatzzahlen. 

Wahres literarisches Talent kann sich da nur störend auswirken. Was hier gefragt ist, sind stromlinienförmig getrimmte Literatur-Klone, einer so belanglos und glatt wie der andere.
Haben wir nunmehr die wirkliche Intention hinter der Veranstaltung solcher Schreibkurse aufgedeckt, wenden wir uns im Folgenden den Mitteln zu, welche man dort dazu anwendet, sich im geheimen Auftrag der Verlagsindustrie authentischer Talente wie Deinem ein für alle Mal zu entledigen. 
Sieh einen Creative Writing Kurs einfach als „Boot-Camp“, bei dem es dem Drill-Sergeant darum geht, durch psychische Demütigung jegliches authentische Kreativpotenzial in den Kursteilnehmern zunächst zu zerstören, um sie anschließend nach seinen eigenen Maßgaben als Mainstream hörige Literatur-Klone wieder aufzubauen.

Mittel # 1: Klassikerkopie
Zunächst einmal wird man die Kursteilnehmer dazu bringen sich mit den Texten so genannter Klassiker/Bestsellerautoren auseinanderzusetzen. 

Hintergedanke dabei, ihren innovativen Schreib- und Denkstil im Sinne der Verlagsindustrie und deren Produktlinien besser beurteilen und dann im weiteren Verlauf des Kurses umso besser umpolen zu können.  
 
Mittel #2: Gruppendynamische Vernichtung
Glaubt man damit erste Erfolge verzeichnet zu haben, geht man dazu über die Kursteilnehmer durch geschickte Manipulation der Gesetze der Gruppendynamik dazu zu verleiten, ihre Texte der Kritik der übrigen Kursteilnehmer auszusetzen. 
Gerade beim Mittel der Gruppenkritik wird man besonders darauf achten, dass diese bei authentischen Talenten besonders hart und ungerechtfertigt ausfällt. 

Und zwar schon allein deswegen, um jene wahren Talente in eine psychologisch unterlegene Position zu manövrieren, von der aus es ihnen noch schwerer fällt, sich gegen die von den übrigen Kursteilnehmern vorgebrachten Scheinargumente angemessen zur Wehr zu setzen.

Mittel #3: Selbstkritik
Man bezeichnet diese Taktik auch als „Selbstkritik“. Sie ist vor allem innerhalb totalitärer Parteien und in bestimmten religiösen Sekten beliebt. 
Im Kern geht es dabei darum, die Kursteilnehmer nach dem Kritikbombardement durch die Gruppe einer weiteren raffinierten Demütigung auszusetzen, indem man von ihnen verlangt, dass sie sich vor der Gruppe zu ihren vermeintlichen Fehlern bekennen und diesen quasi abschwören. 

Diese „Selbstkritik“ stellt den letzten Schritt innerhalb der bewussten Zerstörung authentischen Talentes dar.  



Mittel #4: Umpolung des Kreativpotenzials der Kursteilnehmer

Dieses Ziel wird vor allem durch mal offen, mal heimlich vorgebrachtes Lob für die wenigen Abschnitte der Texte erreicht, die vermeintlich den Vorgaben der Verlagsindustrie und deren Definition von Mainstream-Literatur entsprechen. 

Hintergrund dabei: Den betreffenden Kursteilnehmern zu suggerieren, sie hätten ihr wahres Potenzial für „erfolgreiches Schreiben“ bislang nur nie erkennen und nutzen wollen. Und sich bislang verbissen auf literarischen und stilistischen Irrwegen getummelt. 

Mit diesem Lobangriff einher gehen schwammig gehaltene Versprechungen einen persönlichen Kontakt zu einem erfahrenen und verständnisvollen Vertreter der Verlagsindustrie vermitteln zu wollen. 

Mit dem Zuckerbrot des Erfolges beim großen Publikumsverlag vor Augen, so glaubt man, würde sich noch jedes auch noch so verbissene authentische Talent, schon den Anforderungen des vermeintlichen Mainstream-Geschmacks beugen.

Schlussworte: 
Nunmehr immunisiert gegen die wohl gefährlichste Versuchung der gemeinen Publikumsverlagsindustrie entlasse ich Dich, lieber Vertreter der Zielgruppe zum nächsten nicht weniger spannenden Blopost innerhalb der Reihe „Wie vermeide ich jeglichen Erfolg als Autor“. 

In jenem zweiten Bloghpost wird sich alles um die Pest, die Krätze, die furchtbarste Zumutung auf Ihrem Weg ins literarische Abseits überhaupt drehen: den/die Kritiker. 








1 Kommentar:

  1. Lieber David Gray, sehr köstlich. Vielen Dank! Was Sie aber vergessen haben zu erwähnen: Nach der Überweisung des Honorars (je näher am Verlag, desto höher) an die Schreibschule und der erfolgreichen "Talentumpolung", bekommt man eine eigene Visitenkarte! Ja, wirklich!! Natürlich kostenlos und mit dem Logo der Schreibschule drauf. Diese besitzt magische Kräfte und öffnet einem alle Türen zu den Herzen seiner Leser. Nein, das war jetzt falsch. So, weg mit der rosaroten Brille. Ich wollte sagen, die Türen zu den Publikumsverlagen ;-) Ich freue mich schon auf die Kritiker!

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