Dienstag, 21. Juni 2011

Ali



Ali war der Mann, der auf dem Höhepunkt des Vietnam-Krieges sagte: „ Ich hab keinen Ärger mit dem Vietcong.  Keiner von denen hat mich je Nigger genannt. Ich fliege nicht 10.000 Meilen weit, um andere Menschen zu töten und dabei zu helfen die Herrschaft von Sklaventreibern über andere Farbige aufrecht zu erhalten“
Ali hat das nicht nur gesagt. Er hat auch bewiesen, dass er es genauso meinte.
Am Tag als dieser Ausspruch fiel, war Ali Schwergewichtsweltmeister. Halter des höchsten Titels, den ein Kämpfer seinerzeit überhaupt erringen konnte. Eines Titels, den junge Männer auf dem Höhepunkt ihrer Kraft und Schnelligkeit begehrten. Eines Titels, der verteidigt werden musste, um gerechtfertigt zu werden. Verteidigt von einem jungen Mann, gegen einen anderen jungen Mann. Und doch opferte Muhammad Ali seine aussichtsreichsten Jahre als Sportler, einem Prinzip.  Er tat es wohl wissend, dass er damit seine Chancen auf Verteidigung seines Titels verspielen würde. Er tat es, weil er wusste, dass es die richtige Entscheidung zum rechten Zeitpunkt war. Er tat es, weil er gar nicht anders konnte.
Muhammad Ali, sei fertig und lebe nur noch die Reste eines schal gewordenen Ruhmes auf, so hiess es, als er am 8. März 1971 doch wieder aus dem Gang unter dem Madison Square Garden in die grellen Lichter und den Applaus tausender Menschen hinaustrat, um in einen Ring zu steigen und gegen einen Gegner zu boxen, von dem ihm mehr als allen anderen im Madison Square Garden bewusst gewesen sein musste, dass er tatsächlich in jener Nacht auf dem Höhepunkt seiner Kraft, seines Witzes und seiner Schnelligkeit war.  
Ali verlor diesen Kampf.
Er verlor ihn zwar nach Punkten.
Doch er verlor ihn.
Die Konsequenz war: Er hatte neu zu beginnen.
Neu zu beginnen hiess: von ganz unten.
Neu zu beginnen hiess: zehn weitere junge, schnelle, starke Männer zu schlagen, um wieder eine Chance auf einen Titelkampf zu erhalten.
„Ali, das Großmaul, hat was auf’s Maul gekriegt“ so und ähnlich lauteten am Morgen nach dem Kampf im Madison Square Garden die Schlagzeilen.  Bei den Buchmachern von Los Angeles bis London und Paris bis Sydney galt Ali, „The Lip – das Großmaul“  als erledigt.
Aber Ali ging in den Ring zurück und gewann.
Er gewann nicht immer haushoch, und mindestens einmal hing sein Sieg an einem mehr als nur dünnem Faden, doch er siegte nichtsdestotrotz. Schliesslich war da war keiner mehr, der ihm jetzt noch ernsthaft das Recht auf einen neuen Titelkampf hätte streitig machen können.
Dies allein hätte genügt, den Namen Muhammad Ali für immer in den Annalen der Sportgeschichte zu verewigen. Und zwar unabhängig davon, ob er jenen nächsten Titelkampf gegen George Foreman gewann oder verlor. Dass Ali diesen Kampf verlieren musste, stand für alle Boxexperten jener Zeit felsenfest.
Foreman wirkte physisch stärker, er war im Ring offenbar ausdauernder und er hatte zudem eine unglaubliche Wut auf Ali im Bauch.   
Ali hingegen war älter als Foreman, wirkte physisch ausgelaugt und  zwei seiner Gegner hatten ihn in den Augen der Beobachter und Experten ziemlich blass aussehen lassen. Hinzu kam, dass dieser Titelkampf nicht irgendwo stattfinden sollte, sondern ausgerechnet im afrikanischen Kinshasa, also in enormer Hitze und unter einer für Boxer mörderisch hohen Luftfeuchtigkeit, die das Atmen neben der Hitze noch zusätzlich erschweren musste.   
Dass der Zauber, den Ali auf die Menschen ausübte, nichts von seiner Überzeugungskraft verloren hatte, zeigte sich schon nachdem er auf der Rollbahn des Flughafens aus der Maschine stieg und durch die Stadt in sein Hotel gefahren wurde. Tausende Anhänger säumten die Straßen, um ihm zuzurufen „Ali boma ye! – Ali töte ihn!„
Womit wir bei dem Video angelangt wären, welches ich in diese Blogpost integrierte.  Es zeigt Will Smith in der Titelrolle von Michael Manns Film „Ali“, während er am Vorabend des Kampfes Trainingsrunden durch die Straßen Kinshasas zieht und es ist unterlegt von Salif Keitas großartigem Song „Tomorrow“
Weshalb nun in einem Blogpost über einen Boxer, ausgerechnet die Darstellung eines Trainingslaufes am Vorabend eines Kampfes auswählen, statt irgendeine Darstellungen des Kampfes selbst? 




Ich tat es, weil jener kurze Ausschnitt einen Aspekt von Ali thematisiert, der für mich, der ich selbst einst geboxt habe, mindestens so bewundernswert ist, wie Alis ganz eigener Boxstil und seine Siege im Ring.  Dieses kurze Video zeigt einen zweifelnden Mann, es zeigt Ali verängstigt vor dem Bild, das sich all die Menschen von ihm machen, es zeigt ihn fast erdrückt von all den Erwartungen, die man an diesem Abend an ihn richtete. 
Denn was die wahre Größe eines Kämpfers ausmacht, ist ja der Umstand, dass er trotz seiner Angst und  trotz seines Wissens um die eigenen Unzulänglichkeiten, dennoch den unerhörten Mut findet, aus seiner nach Schweißfüssen, Angst und Desinfektionsmitteln stinkenden Kabine in die Lichter und den Applaus des Stadiums heraus zu treten, um dann in einen Ring zu klettern, in dem ein anderer entschlossener und trainierter Kämpfer nur darauf wartet, ihm in aller Öffentlichkeit heftig die Fresse zu polieren.
Ali hat genau dies wieder und wieder getan. Er hat es sogar einige Male zu oft getan, als wirklich gut und gesund für ihn war.
Dies allein verdiente schon unser aller aufrichtige Bewunderung. Aber letztlich tun auch die Klitschkos genau dies, immer und immer wieder, aber stehen in der Bewunderung der Menschen überall auf der Welt, trotzdem längst nicht auf einem vergleichbaren Rang wie Ali. 
Ich glaube auch gar nicht, dass die Faszination die von Ali ausging und ausgeht, einzig mit seinem unbestreitbaren Charisma erklärt werden kann.
Das wäre zu kurz gegriffen.
Ich bin überzeugt davon, dass Ali sich Respekt und Hochachtung überall auf der Welt verdiente, indem er neben dem Mut des Kämpfers im Ring, auch noch eine zweite Art von Mut bewies, Zivilcourage nämlich.
Denn zu einem Zeitpunkt in seinem Leben, als er damit zwar vermeintlich alles zu verlieren, aber nichts zu gewinnen hatte, deutete Ali ganz offen auf eine Ungerechtigkeit und verkündete laut und deutlich: „Dort in jener ganz bestimmten Ecke stinkt irgendetwas furchtbar zum Himmel. Und was immer ihr davon haltet – ich weiss, es gibt keine Ausrede dafür, dass es nur deswegen, weiterhin dort aus jener Ecke zum Himmel herauf stinken soll, weil zu viele Leute sich daran gewöhnt haben sich jedes Mal wortlos die Nase zuzuhalten, immer dann, wenn sie jene Ecke zufällig passieren müssen.“
Diese zum Himmel stinkenden Ecken, auf welche Ali wies, waren Rassismus, Heuchelei und Ignoranz. Sein ganzes Leben lang, liess er sich nicht davon abbringen weiterhin stur auf jene stinkenden Ecken der Gesellschaft zu weisen und laut zu sagen, was zwar alle anderen auch wussten, aber so wenige eben laut zu sagen wagten, nämlich: dass es da in diesen Ecken heftig zum Himmel stank. Kein Wunder, dass er sich mit dieser Haltung nicht nur Freunde machte. Und ebenso wenig ein Wunder, dass selbst noch Jahre nach Alis Karriereende, oft genug unterschwellige Häme mit schwang, falls man über ihn sprach oder schrieb.  Und zwar nicht nur in den USA, sondern auch anderswo auf der Welt. 
Viel ist gesagt worden über den Abend im Sommer 1996, als Ali deutlich gezeichnet von der Parkinsonkrankheit, in Atlanta das olympische Feuer entzündete und damit vor den Augen der Welt die XXVI. Olympischen Sommerspiele eröffnete.
Dies sei der Augenblick, in dem sich Amerika endlich mit Ali und dessen Rolle in Sport, Politik und Bürgerrechtsbewegung versöhnte, hiess es allenthalben. Und dass dieser Akt dort im Stadium von Atlanta das letzte Comeback eines Mannes markiere, dessen Name und Taten auch ohne jene letzte Geste längst auf dem Weg in die Unsterblichkeit gewesen seien.
Das mag so sein, oder nicht. 
Ich jedenfalls meine, dass Ali, der Mann dessen Karriere so viele Comebacks aufwies wie nur wenige andere Sportlerlaufbahnen, an diesem Juliabend in Atlanta kein Comeback hatte, sondern nur den Gong zur letzten Runde in einem Kampf anschlug, der über weit mehr als nur die berühmten 15 Runden gegangen war. 
Ich glaube damals in Atlanta feierte Ali seinen ganz persönlichen Punktesieg in einem Fight, den er viele, viele Jahre zuvor ganz allein gegen eine in Schwarze und Weiße geteilte Nation und eine von Häme und Vorurteilen durchdrungene Welt angetreten hatte.
Ali hat jenen Fight für sich gewonnen. 
Er gewann ihn nach Punkten, weil es im Kampf gegen Intoleranz, Imperialismus, Dummheit und Rassismus, einen K.O. – Sieg  nicht einmal für einen Ali geben kann. 
Er gewann diesen Fight nicht durch seine Jabs und Geraden, sondern mit Zivilcourage, gesundem Menschenverstand und einem unerhört starkem und großen Herz.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen